Nelly Schmidts verrückter Sommer

Jetzt also die Team-Europameisterschaften im polnischen Bydgoszcz – dort kämpfen am Wochenende an drei Tagen die besten Länder-Mannschaften des Kontinents um Zeiten, Weiten und Höhen. Mittendrin ist Nelly Schmidt vom Leichtathletik-Team Deutsche Sporthochschule Köln. Frischgebackene Bronze-Medaillengewinnerin bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin über 400m, Vize der nationalen U23-Meisterschaften, Dritte über 4x400m beim der U23-EM. Nun im Team des Titelverteidigers. Am Sonntag wird die 22 Jahre alte Spoho-Studentin mit der 4x400m-Staffel ab 18.30 Uhr um die Qualifikation zu den Weltmeisterschaften in Doha Ende September laufen. Es wäre die nächste Station in einem verrückten Freiluftsommer. Denn bei allem Respekt, wer diese Entwicklung vorausgesagt hätte im vergangenen Winter, der wäre jetzt nicht unbedingt seriös rübergekommen. Aber der Reihe nach.

Geboren ist Nelly im Schleswig-Holsteinischen Ratzeburg. Eine Ruderhochburg. Mindestens, eher kann man sagen: Ratzeburg ist Rudern. Trainerlegende Karl Adam. Der Ratzeburg- Achter. Olympiasiege. Weltmeisterschaften. Deutsche Sportgeschichte. Aber trotz Ferienkursen und obwohl Adam an ihrem Gymnasium, der „Lauenburgischen Gelehrtenschule“, dereinst unterrichtete – ihr Weg führte von Beginn an zur Leichtathletik. Zwischendurch zum Handball, was ihr wohl auch die beachtlichen Schüler-Weiten beim Schlagballwerfen bescherte. „Meine Eltern behaupten immer, ich bin gelaufen bevor ich gehen konnte.“ Sportlich sind sie im Hause Schmidt. Die beiden jüngeren Brüder spielen Fußball wie der Vater, die ältere Schwester Handball und reitet, Mutter war als Kind in der Leichtathletik.

“Nelly rennt wie ein Uhrwerk”

Nach dem Abitur wechselt Nelly im Herbst 2016 an die Sporthochschule, studiert Sportmanagement und Sportkommunikation – und kommt ins LT zu Chefttrainer Andreas Gentz. Die erste Saison wird wie erhofft. 2017 steigert sie sich über ihre Paradestrecke von 54,76s auf 54,00s. Nicht die Welt, aber völlig in Ordnung. Im Folgejahr treten Coach und Athletin auf der Stelle. Dazu kommen drei Muskelfaserrisse im Winter. Mit 54,27s gehen sie aus dem Jahr. Gentz aber baut sein Training aus mit Hilfe der begleitenden Leistungsdiagnostik durch den OSP Rheinland und durch die Unterstützung des Instituts für Sportmedizin der DSHS – und Nelly wird seine Vorzeigeathletin. „Nelly rennt wie ein Uhrwerk. Durch die diagnostische Unterstützung können wir inzwischen genau sagen, in welchem Bereich die nächsten Trainingseinheiten mit Tempoläufen beispielsweise liegen müssen. Und Nelly ist da 100prozentig zuverlässig.“ Sie ergänzt: „Ich war im Winter und in dieser Saison nicht verletzt. Ich habe aber auch gelernt, besser in meinen Körper reinzuhören und mich danach zu richten. Das alles zusammen macht es wohl aus.“

Die Resultate des Duos innerhalb der starken Trainingsgruppe mit Christine Salterberg, Laura Marx, Lena Naumann oder beispielsweise Feli Ulmer jedenfalls sind beeindruckend. Ende Mai steigert sich Nelly im belgischen Oordegem auf 53,38s. „Mit der Zeit war ich schon total glücklich.“ Eine Woche später läuft sie an gleicher Stelle ihre Bestzeit. 52,77s. U23-EM. Einzelnorm. „Ich wollte zur EM, aber mit Einzelnorm? Damit hatte ich nicht gerechnet.“ Sie bestätigt ihre Zeit bei der U23-DM in Wetzlar. Wird Zweite hinter Luna Bulmahn, die ebenfalls in dieser Saison in ihren Leistungen „explodiert“ – und sich bei der Team-EM mit ihr das Zimmer teilt. Nelly liefert in den Staffeln famose Rennen ab: Wird deutsche Frauen-Meisterin und U23-Meisterin mit dem LT, Medaillengewinnerin bei der U23-EM und Einzelfinalistin. Am Wochenende schafft sie als DM-Dritte den Sprung aufs Treppchen im Berliner Olympiastadion bei den Aktiven. Erstmals in diesem Jahr läuft sie im Finale schneller als in den Halbfinals davor. Der nächste Entwicklungs-Schritt.

Jetzt also Bydgoszcz „Wir hatten heute noch eine Tempoeinheit. Alle sind gut in Form und bereit“, sagt sie am Donnerstag. Deutschland steht auf Platz 16 der Weltrangliste, der muss verteidigt oder verbessert werden. Klappt das, geht es zur WM. Zudem erscheint das Olympiajahr 2020 mit Tokio am Horizont – näher als jemals vermutet. Eigentlich ist die Team-EM sowas wie die Zugabe, wahrscheinlich aber noch lange nicht das Ende.

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Übersicht Team Deutschland-EM 

Deutsche Mehrkampf-Meisterschaften mit Laura Voss

Für Cheftrainer Andreas Gentz und Siebenkämpferin Laura Voss stehen die Deutschen Mehrkampfmeisterschaften am Wochenende in Bietigheim an – sie wäre die erste, die als britische Meisterin auch hier nationale Meisterin werden könnte… aber das wäre sehr überraschend. Obwohl …

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Nelly Schmidt – Beautiful Sports I Footcorner