“Ich hatte immer dieses Gefühl in mir: Es kann nicht sein, dass du mit 15 Jahren am schnellsten warst”

Wir blicken voraus aufs DM-Wochenende in Leipzig mit der LT-Durchstarterin der Hallensaison. Felicitas Ulmer gewann vergangene Woche den Hochschul-Titel über 400m und in der Staffel mit Christine Salterberg und Julia Bakker. In Leipzig wird sie über 200m im Einzel starten sowie in einer der 4x200m-Staffeln. Erik Sterken hat sich mit ihr unterhalten über eine lange Karriere mit einigen Unterbrechungen und hat erfahren, warum der Sprachkurs in Kolumbien erstmal warten muss.

Felicitas “Feli” Ulmer
Alter: 25
im Verein seit: Oktober 2016
Trainingsgruppe: Andreas “Andy” Gentz

Persönliche Bestzeiten:         
60m:   7,77 (2019)
100m:  11,99 (2017)
200: 24,23 (Halle 2019)
400m:  54,46 (2017)

Größte Erfolge
2017 DM-Gold mit der 4x400m LT-Staffel 
2019 Deutsche Hochschulmeisterin über 400m
2008 & 2011 5. Platz bei DJM über 400m

Erstmal herzlichen Glückwunsch zu deiner neuerlichen Bestzeit und zum 400m-Titel bei den Deutschen Hochschulmeisterschaften. Du hast dieses Jahr schon mehrere persönliche Bestzeiten aufgestellt. Warum läuft es dieses Jahr so besonders gut bei dir?
Vielen Dank. Ich denke das liegt vor allem daran, dass ich relativ gesund und ohne große Ausfälle durch den Winter gekommen bin. Außerdem befinde ich mich in einer entspannteren Phase meines Studiums – dadurch habe ich deutlich mehr Zeit, um mich auf den Sport zu konzentrieren. Sicher spielt auch die Art des Trainings eine sehr wichtige Rolle. Das Training hier ist super professionell, Andy konnte mit mir nochmals an vielen Baustellen arbeiten.

Du hast vergangene Woche in Frankfurt, wie eben bereits erwähnt, sowohl in der Staffel, als auch im Einzel den Hochschul-Titel erringen können. Kannst du sagen, ob du lieber in der Staffel oder im Einzellauf unterwegs bist?
Wer mich kennt, weiß wie sehr ich für die Staffeln brenne. Es macht mir einfach Spaß im Team über sich hinauszuwachsen und gemeinsame Erfolge zu feiern. Allerdings ist natürlich auch der Anspruch in jedem Leichtathleten verankert, seine eigenen Bestleistungen zu schlagen – so auch bei mir. Mehr Spaß habe ich aber insgesamt bei Staffeleinsätzen.

Hast du vor wichtigen Läufen ein besonderes Ritual?
Eigentlich nicht. Ein Honigbrot am Wettkampftag darf bei mir nicht fehlen. Ansonsten zeigt mir die aktuelle Saison, dass die Wettkampfvorbereitung nicht immer nach Plan laufen muss.

Eben hast du gesagt, dass du für deinen Master nach Köln gekommen bist. Was studierst du eigentlich und wie sehen deine Ziele neben den sportlichen aus?
Ich studiere Wirtschaftsmathematik und schreibe aktuell meine Masterarbeit in Statistik. Somit befinde ich mich leider schon in den letzten Zügen meines Studiums. Anschließend möchte ich gerne entweder im Bereich Data Science oder in einer Unternehmensberatung arbeiten.  Wohin es mich genau verschlagen wird, kann ich aber heute noch nicht sagen. Ziel ist es, entweder in der Kölner Region zu bleiben oder für eine gewisse Zeit im Ausland zu arbeiten.

Im vergangenen Jahr warst du für ein Auslandssemester in Hongkong. Hast du dort weiter normal trainieren können oder sah dein sportlicher Alltag in Asien komplett anders aus?
Uff, ich weiß nicht, ob ich das wirklich offen kommunizieren sollte. Hoffentlich liest Andy nicht mit. Ich habe dort vor allem versucht, einiges von der Welt zu sehen und bin viel gereist. Für Training war daher oft keine Zeit. Gleichzeitig habe ich auch einmal mehr gelernt, wie wichtig für mich eine Trainingsgruppe ist, die dich motiviert, pusht, unterstützt. Aber vor allem auch mit dir Spaß hat – ohne Trainingsgruppe fehlt mir definitiv die Disziplin. Insgesamt hat mir die temporäre Pause vielleicht auch ganz gut getan. Man hatte eben mal mehr Zeit für andere Dinge.

Hast du eine ähnliche Reise, wie die nach Hongkong, in näherer Zukunft nochmal vor? Was hat dir dort besonders gut gefallen?
Eigentlich wollte ich gerade in Kolumbien einen Sprachkurs machen. Heute bin ich froh, dass alles anders gekommen ist. Nicht weil ich nicht nach Kolumbien will, das hole ich dann vielleicht im August nach. Aber die Saison läuft zu gut, als dass ich woanders sein möchte. Was mir in Hongkong am besten gefallen hat, ist schwer zu sagen. Die Zeit war einmalig und wird immer unvergesslich bleiben. Es war wie in einer anderen Welt. Um die Frage jedoch zu beantworten. Definitiv das viele Reisen.

Du wurdest in deiner Karriere schon häufiger durch zum Teil Jahre andauernde Verletzungen zurückgeworfen. War dir während solcher Verletzungen bewusst, dass du unbedingt nochmal angreifen willst oder hast du auch mal daran gedacht, mit deinem Sport aufzuhören?
Ja, das stimmt leider. Eine Verletzung bedeutet immer erstmal einen Schock und ist daher mit vielen Emotionen verbunden – auch bei mir. Ich hatte oft ganz typische kleine Verletzungen. Aber wie du schon sagtest, zähe Verletzungen, etwa meine Beschwerden mit der Achillessehne oder meine Probleme mit dem Halswirbel, waren nochmal etwas Anderes. Beide Male konnte zunächst keine konkrete Ursache gefunden werden. Ich pausierte deshalb mehrere Monate, halbe Jahre, einmal sogar fast zwei Jahre. Doch ganz aufhören konnte ich nie übers Herz bringen. Ich hatte immer dieses Gefühl in mir: Es kann nicht sein, dass du mit 15 Jahren am schnellsten warst. Schließlich war Osteopathie bei beidem der Schlüssel zum Erfolg. Als dann zusätzlich feststand, dass ich ab 2016 für meinen Master nach Köln ziehen würde, war ich ungemein motiviert, meine Bestzeit aus dem Jahr 2009 (!!) noch einmal zu toppen. Dass nun aber alles gleich so gut läuft, habe ich damals nicht erwartet.

Wie schaffst du es trotz schon mehrerer längerer Pausen zwischendurch, trotzdem immer wieder schnell zu Höchstleistungen zu kommen?
Eine Stärke von mir ist sicherlich, dass ich mich über Kleinigkeiten verhältnismäßig stark freuen kann – so auch im Training. Stück für Stück kämpft man sich dann nach einer Pause zurück. Hinzu kommt, dass ich gewisse Trainingseinheiten – unter anderem Krafttraining und Ausdauerläufe – vor meiner Zeit in Köln nie wirklich gemacht habe. Das neue Training in Köln hat scheinbar schnell angeschlagen. Als letzten Aspekt bleibt auf jeden Fall das wirklich tolle Team zu erwähnen. Ich bin echt froh Teil des LT zu sein. Und wie heißt es doch gleich: ohne Spaß kein Preis… zumindest so ähnlich.

Welche Chancen rechnest du dir für die kommenden deutschen Meisterschaften in Leipzig aus?Für meinen Einzelstart habe ich mir als Ziel gesetzt, mit einer neuen PB ins A-Finale zu laufen. In der Staffel werden wir alle schon einige Läufe in den Beinen haben. Wir werden unser Bestes geben. Und wenn die Wechsel klappen, wer weiß, vielleicht steht am Ende sogar eine Zeit unter 1:37 auf der Tafel.

Hast du bei dem Gewinn deines Titels schon während des Laufs gemerkt, wie schnell du läufst oder warst du beim Blick, nachher auf die Zeit selber erstaunt? Hattest du vielleicht schon vorher ein besonderes Gefühl, dass du so gut drauf bist? 
Im Training habe ich schon gemerkt, dass ich gut drauf bin und mich besonders im Sprint verbessert habe, so das für mich die 200m- und 60m-Zeit nicht so überraschend kam wie die 400m Zeit. Bei 400m muss neben der Form auch die Kräfte-Einteilung stimmen. Das gelingt mir nicht immer und ich bin oft auf den ersten 200m zu flott. Als ich dann diesmal die Durchgangszeit bei 200m gesehen habe, war sie genauso gut, wie es mir Andy vor dem Lauf gesagt hatte. Somit wusste ich, dass ich auf den letzten Metern nicht zu sehr sterben muss. Es ist super schön, wenn sich das Training auszahlt.

Dann wünsche ich dir viel Erfolg, bei den kommenden Meisterschaften und hoffe, dass du diese Ziele erreichen kannst 
Dankeschön! Et hätt noch immer jot jejange.

Text: Erik Sterken

Felicitas Ulmer – mit Blick auf Hongkong und die Welt unterwegs und in Mitten der Staffelkolleginnen. Fotos: Privat und Beautiful Sports I Axel Kohring